Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen ist ein Lern- und Gedenkort und keine politische Bühne
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Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen ist ein Lern- und Gedenkort und keine politische Bühne

Der Historiker und ehemalige Gedenkstätten-Mitarbeiter Wolfgang Schmutz erklärt, weshalb dieser Ort endlich als Chance begriffen und nicht als politische Bühne missbraucht werden soll.

Wolfgang Schmutz war von 2011 bis 2014 Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und vor seinem Rückzug ein Jahr lang der provisorische Co-Leiter der dortigen Pädagogik-Stelle. Seit 2007 werden Führungen an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen nach einem von Expertinnen und Experten erarbeiteten, pädagogischen Konzept durchgeführt. In diesem Artikel beschreibt Wolfgang Schmutz, wie sich die Herangehensweise an Führungen über die Jahre verändert hat und warum das dabei Erreichte nur ohne politischer Einflussnahme durch das Innenministerium funktionieren kann.

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Bevor 2007 das jetzige pädagogische Konzept an der Gedenkstätte Mauthausen gestartet wurde, kümmerten sich unterschiedliche Personenkreise um die historische Vermittlung. Bis zum Ende der 1970er-Jahre führten vor allem ehemalige österreichische Häftlinge über das Gelände. Danach kamen in keiner Weise qualifizierte Mitarbeiter_innen des Innenministeriums dazu. Ein kurzes Zwischenspiel übernahmen in den 1980er-Jahren drei engagierte Junglehrer: Sie richteten ihre pädagogischen Überlegungen an den Erfahrungen anderer Gedenkstätten aus. Als sie dem BM.I eine kritische Bestandsaufnahme zu Mauthausen vorlegten, fand ihr Engagement Ende der 1980er-Jahre ein jähes Ende.

Die „Schutzimfpung" klingt wie ein Echo aus der NS-Zeit, in der die geplante Vernichtung von Menschenleben als „Ausmerzung" alles „Schädlichen" bezeichnet wurde.

Darauf folgten Zivildiener, die nach keiner oder nur kurzer, rein historischer Ausbildung als Rundgangspersonal eingesetzt wurden. Wie das war, beschrieb hier vor kurzem ein ehemaliger Zivildiener. Weder gab man den Zivis pädagogische Handreichungen mit auf den Weg, noch schuf man einen funktionierenden Betreuungsrahmen für die jungen Männer, die oft dreimal am Tag mit Gruppen unterwegs waren und komplett fahrlässig der Routine von Schreckenserzählungen ausgesetzt wurden: Die den Häftlingen widerfahrene Gewalt eindrücklich zu schildern, galt damals als pädagogisch erwünscht. Ziel war es, mit plakativen Gewalterzählungen die Ampulle für die „Schutzimpfung" gegen rechtsradikales Gedankengut zu füllen. Ein bisschen Gift aus der Vergangenheit zur Immunisierung der Gegenwart, so die Idee. Abgesehen davon, dass das pädagogischer Unsinn ist: Die als Schocktherapie verabreichte „Schutzimfpung" klingt ihrerseits wie ein Echo aus der NS-Zeit, in der die geplante Vernichtung von Menschenleben als „Ausmerzung" alles „Schädlichen" bezeichnet wurde, notwendig zum Wohle und zur Gesundheit des „Volkskörpers". Unter Innenministerin Fekter wurde es dann medizinisch-kriminalistisch: Von „Wiederbetätigungsprävention" war nun die Rede.

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Dieses an Widersprüchen reiche Erbe traten jene Kolleg_innen an, die ab 2007 für die pädagogische Weiterentwicklung verantwortlich zeichneten. Der kritische Blick zurück, die Analyse eines untragbaren Ist-Zustands orientierte die Beteiligten auf einem neuen Weg. Dieser wurde von Yariv Lapid, Christian Angerer und Maria Ecker gleich auf mehreren Ebenen eingeschlagen. Erstmals wurde an der Gedenkstätte ein pädagogisches Konzept entwickelt. Es brachte Prinzipien der politischen Bildung an den Ort, etwa jenes, dass den Lernenden eine zentrale und aktive Rolle zukommen soll. Das Ich der Besucherinnen und Besucher, die jeweilige Perspektive auf die historischen Ereignisse sollten nunmehr zum Fokus werden. „Was hat es mit mir zu tun?" lautete die entsprechende Frage, die dem pädagogischen Konzept seinen Namen gab und auch in der darauf basierenden Vermittler_innen-Ausbildung die eigene Annäherung an den historischen Ort in den Vordergrund rücken ließ. Die halbjährige Ausbildung setzt hier bis heute einen Schwerpunkt—neben der Einübung und Erarbeitung einer pädagogischen Praxis, die das Gespräch und die Diskussion mit den Besucher_innen in den Vordergrund stellt.

Parallel zur Entwicklung des Konzepts wurde begonnen, zuvor vermiedene Bereiche des Lagers in die Rundgänge aufzunehmen. Vor 2009 fanden die Rundgänge beinahe ausschließlich im Bereich des ehemaligen „Schutzhaftlagers" statt, in dem sich die Häftlingsbaracken und die baulich erhaltenen Tötungsorte, wie Gaskammer und Genickschussecke, befanden. Man konzentrierte sich auf das „unvorstellbare", aber zugleich ausgiebig beschriebene Leid der Opfer. Nicht die wirtschaftliche Verflechtung des Ortes mit der nationalsozialistischen Gesellschaft, der Profit der vielen aus der Zwangsarbeit der Häftlinge, sondern Tötung und Folter standen im Vordergrund der Erzählung. Verborgen blieben so die Kontaktzonen zwischen gesellschaftlichem Umfeld und Lager, wie etwa der Steinbruch, in dem Dutzende Zivilarbeiter Tag für Tag mit den Häftlingen arbeiteten. Oder der Fußballplatz, auf dem zwei aus der Lager-SS gebildete Mannschaften in der regulären Gauliga Oberdonau spielten, gegen den Lask, Steyr und Wels, inklusive Spielberichten in den Zeitungen und zivilen Zuschauer_innen vor Ort, im KZ.

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Das Einbinden dieser Bereiche, das Erzählen von der Nachbarschaft zwischen Massenvernichtung und Alltag, der Verweis auf die Verschränkungen zwischen dem KZ und Bevölkerung führt dazu, dass die Besucher_innen heute vor allem mit dem historischen Spiegelbild ihrer eigenen gesellschaftliche Position beschäftigt sind: jener der Zivilbevölkerung.

Wenn sie nicht getötet hätten, wären sie dran gekommen. Warum verspricht dann aber der Kommandant drei Tage Urlaub für jeden Wachmann, der einen Häftling auf der Flucht erschießt?

Die Vermittler_innen an der Gedenkstätte erzählen mit Fußballplatz und Steinbruch auch gegen althergebrachte Erklärungsmuster an, die nach wie vor weit verbreitet sind: Zum einen sei die Bevölkerung, so sie überhaupt etwas über das Lager wusste, gezwungen gewesen, sich zur eigenen Sicherheit nicht einzumischen. Wieso kommt man dann aber freiwillig zu Fußballspielen? Zum anderen werden die Täter_innen gerne als Monster gesehen, denen nichts Menschliches anhaftete. Oder es wird argumentiert, dass die Wachmannschaften als Befehlsempfänger_innen einfach keine Wahl hatten (als ihre Pflicht zu tun, könnte man mit Waldheim ergänzen): Wenn sie nicht getötet hätten, wären sie dran gekommen. Warum verspricht dann aber der Kommandant drei Tage Urlaub für jeden Wachmann, der einen Häftling auf der Flucht erschießt?

Mit den Herausforderungen dieser Herangehensweise, der Weiterentwicklung von pädagogischen Methoden und den Rahmenbedingungen für eine solche Arbeit setzt sich das pädagogische Team seit mehreren Jahren mithilfe von internationalen Expert_innen aus unterschiedlichen Disziplinen auseinander. Kooperiert wurde dazu etwa mit der Grundrechtsagentur der Europäischen Union (FRA), und zuletzt fand ein eigenes, hoch dotiertes EU-Projekt statt. Dafür stand erinnern.at, Initiator, Mitbegründer und laufender Partner der Pädagogik an der Gedenkstätte, als Träger zur Verfügung. Im Projekt wurde viel dazugelernt, vor allem aber wieder einmal, dass man auf dem eingeschlagenen Weg noch ziemlich am Anfang steht und noch viel zu lernen hat. Dabei kann man kaum auf vorhandene Modelle zurückgreifen: Nicht nur in österreichischen Gedenkstätten stellt die Arbeit der Pädagogik eine Pionierarbeit dar. Wirklich anerkannt und wahrgenommen wird dies jedoch, der eigenen Erfahrung nach, erst dann, wenn man die Grenzen des Landes hinter sich lässt und die bisher geleistete Arbeit im internationalen Umfeld präsentiert.

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Doch zurück nach Österreich: Die Fortschritte der letzten Jahre wurden erzielt, obwohl es für die Pädagogik seit Anbeginn keine langfristige Planbarkeit und immer wieder budgetäre Unsicherheiten gab. Dass unter diesen Umständen gute Arbeit und eine Weiterentwicklung möglich waren, verdankt sich in erster Linie dem Durchhaltewillen und -vermögen des pädagogischen Teams. Und der Tatsache, dass es dem BM.I und seinen Repräsentanten immer möglich war, sich mit der neuen pädagogischen Arbeit, den erzielten Fortschritten, zu brüsten. Diese Logik zerbrach im Jänner 2013 durch eine einsame Entscheidung seitens des BM.I, in die der Partner erinnern.at vorab nicht eingebunden war. Ausgerechnet zu Beginn jenes Jahres, in dem die neuen Ausstellungen zu eröffnen waren und als das auf 18 Monate anberaumte EU-Projekt gerade begonnen hatte, wurde der Vertrag des pädagogischen Leiters nicht verlängert. In der schwierigen Zeit nach dieser Entscheidung gelang es, das EU-Projekt weiterzuführen, dafür durfte Yariv Lapid auch weiter verantwortlich zeichnen. Der Leitung blieb er jedoch enthoben, aus finanziellen Gründen, wie es hieß. Dadurch war abseits des EU-Projekts letztlich nur eine provisorische Fortsetzung der Arbeit möglich. Als mir signalisiert wurde, dass man diesen unhaltbaren Zustand weiter einzementieren beziehungsweise noch verschlechtern wolle, beschloss ich die Arbeit an der Gedenkstätte zu beenden. Zu einer öffentlichen Ausschreibung der Leitungsposition kam es erst im Sommer 2014, seit Jänner diesen Jahres ist Gudrun Ploberger neue Leiterin der Pädagogik.

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Will man aus der Bühne Mauthausen einen relevanten Lern- und Gedenkort machen, führt kein Weg daran vorbei, das BM.I seiner Verantwortung zu entbinden.

Nichts von diesen absurden Vorgängen, an denen sich das Desinteresse und der Zynismus der ministeriellen Verantwortungsträger ablesen lässt, sollte für die Zukunft der Gedenkstätte beispielgebend sein. Das jedoch, was gegen alle Defizite und Widerstände erreicht wurde, könnte geeignet sein, der künftigen Gedenkstätte Modell zu stehen. Die erfolgreiche Weiterentwicklung der Pädagogik vor Ort war und ist gekennzeichnet durch eine Arbeitskultur, in der flache Hierarchien, offene Gespräche und die Orientierung an den Bedürfnissen der Besucher_innen im Zentrum stehen. Für die Pädagogik gilt: Gute Fragen zu haben ist das Um und Auf, unterschiedliche Positionen zu diskutieren, bringt nachhaltige Fortschritte. Die vermeintlich einfachen Antworten kann man inzwischen getrost jenen überlassen, die das ehemalige KZ zur antifaschistischen Waschanlage degradieren und damit die geschehenen Verbrechen für ihre heutigen Zwecke politisieren.

Es ist zu guter Letzt zu unterstreichen, was hier an anderer Stelle schon genannt wurde: Will man aus der Bühne Mauthausen einen zivilgesellschaftlich relevanten und nach demokratischen Gesichtspunkten funktionierenden Lern- und Gedenkort machen, führt kein Weg daran vorbei, das BM.I seiner Verantwortung zu entbinden und den unmittelbaren politischen Zugriff künftig abzustellen. Dann könnten für die gesamte Gedenkstätte neue Wege in Theorie und Praxis beschritten werden, Fortschritte auf diesen Wegen über die offenen Verhandlung von Widerständen führen und internationale Blickwinkel und Expertisen aus anderen Disziplinen ein integrativer Bestandteil der Entwicklung sein. In anderen Worten: Die Gedenkstätte wäre befreit.


Header-Foto: gmourtis | Flickr | CC BY 2.0