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So können sich Frauen im zweiten Lockdown vor häuslicher Gewalt schützen

In deutschen Frauenhäusern fehlen 14.000 Plätze. Wir haben mit Mitarbeiterinnen und Verantwortlichen gesprochen.
Frau sitzt am Fenster im Dunkeln; So können sich Frauen im zweiten Lockdown vor häuslicher Gewalt schützen
Foto: imago images | Westend61

Die Pandemie wirkt wie ein Verstärker. Kleine Probleme werden zu großen, was vorher kaum sichtbar war, tritt offen zutage. Gleichzeitig deckt sie so Missstände auf. Wer oder was ist eigentlich systemrelevant?

Durch Corona sind etwa Frauenhäuser mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Gemäß der Istanbul Konvention fehlen in Deutschland 14.000 Plätze in Frauenhäusern. 

Ob Corona die Situation verschärft hat? Im Juni befragte VICE Janina Steinert, die Professorin für Global Health an der TU München. Zusammen mit ihrer Kollegin Cara Ebert führte sie eine Studie durch, um die Gewalterfahrungen von Frauen während des ersten Lockdowns zu dokumentieren. Dafür haben sie 3.800 Frauen befragt. Sie brachten in Erfahrung, dass vier Prozent emotionale Gewalt erfuhren. Drei Prozent der befragten Frauen erlitten körperliche Gewalt. 

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"Im ersten Lockdown gab es relativ wenig Anrufe", sagt Petra Schlesiger. Sie arbeitet für das 1. & 3. Frauenhaus in Hamburg. "Das liegt daran, dass die Männer in den meisten Fällen zu Hause waren und kontrollieren konnten. Außerdem waren auch die Schulen und Kitas geschlossen. Oft ist es so, dass dort gesehen wird, dass Kinder Verletzungen aufweisen. Dann wird das gemeldet. Die Möglichkeit fiel während des Lockdowns weg." Mit den Lockerungen verzeichnete das Frauenhaus wieder Anstiege. "In den letzten Wochen und Monaten waren wir wieder ziemlich oft überbelegt." 

Wie können sich Frauen während der zweiten Welle schützen? Im zweiten Lockdown plant die Regierung, die Infrastruktur der Frauenhäuser auszuweiten. Die FDP fordert ein Onlineregister, welches die freien Plätze in Frauenhäusern verzeichnen soll. In Berlin sind außerdem drei neue Frauenhäuser geplant. Das klingt erst mal vielversprechend. Doch welche Schlüsse zieht man in der Praxis aus dem ersten Lockdown? Wie sehen die Frauenhäuser die neuesten Entwicklungen? Wir haben nachgefragt.

In Potsdam sah die Lage ähnlich aus. "Obwohl die Polizei mehr Einsätze in Wohnungen verzeichnete, gab es keinen massiven Anstieg an Frauen, die um Hilfe gebeten haben. Zum einen hatten die Frauen wenig Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen, da sie isoliert waren, und zum anderen gab es auch die Angst vor Ansteckung in einer Gemeinschaftsunterkunft wie dem Frauenhaus", sagt Heiderose Gerber vom Frauenhaus Potsdam. Trotzdem gab es durch die Pandemie auch positive Folgen: "Corona hat die öffentliche Wahrnehmung für Frauenhäuser geschärft. Jetzt bewegt sich etwas. Wir werden sehen, wie nachhaltig dieses Bewusstsein ist."

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So sieht das auch Elisabeth Oberthür, die Pressebeauftragte der Frauenhauskoordinierung. Für sie ist die Pandemie eine Art Weckruf für die Politik: "Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber die Pandemie ist auch eine Chance für uns. Probleme, die es schon ganz lange gibt, zum Beispiel der Mangel an Plätzen, die schlechte Ausstattung und die schlechte technische Infrastruktur werden jetzt plötzlich gesehen. Es gibt nun Druck, Massnahmen zu ergreifen, die wir schon lange eingefordert haben." 

Die Frauenhauskoordinierung unterstützt Frauenhäuser mit fachlicher Beratung. Sie hilft den Häusern zum Beispiel dabei, sich gegen digitale Gewalt aufzustellen. Die Frauenhauskoordinierung versteht sich als Fachorganisation und politischen Dachverband für zwei Drittel aller Frauenhäuser in Deutschland. Ihr wichtigstes Ziel ist gerade, in der Politik durchzusetzen, dass die Häuser besser ausgestattet werden und dass in Deutschland ein Rechtsanspruch auf Schutz eingeführt wird. Die Koordinierung begleitet die Häuser auch durch die Pandemie und hat miterlebt, welchen Einfluss die Kontaktbeschränkungen haben.

"Die Lage in den Frauenhäusern war sehr heterogen. Die Auslastung war von Bundesland zu Bundesland verschieden", beschreibt Elisabeth Oberthür den ersten Lockdown im März. "Es gibt Frauenhäuser, in denen es ungewohnt ruhig war. Das lag womöglich an der Angst vor Ansteckung. Andere Häuser waren permanent überlastet. In Schleswig-Holstein haben die Frauenhäuser zum Beispiel Zusatzwohnungen angemietet, weil sie überbelegt waren."

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Die Erfahrungswerte der ersten Welle haben dabei geholfen, sich auf eine zweite Welle vorzubereiten. "Auch in Frauenhäusern muss man davon ausgehen, dass sich jemand infiziert. Wir haben die Häuser dabei unterstützt, Pandemiepläne zu erstellen. Außerdem gab es Städte, die weitere Wohnungen oder Hotels angemietet haben, um Frauen unterzubringen, wenn sie beispielsweise in Quarantäne müssen." 

Viele Häuser und Beratungsstellen haben aber auch digital aufgerüstet. "Die Beratungsangebote per Telefon oder online wurden ausgeweitet. Damit Frauen auch ohne persönlichen Kontakt Beratung in Anspruch nehmen können. Dafür hat auch der Bund drei Millionen bereitgestellt, die wir als Frauenhauskoordinierung an die Häuser verteilen können."

Ein Onlineregister, das über die Kapazitäten in Frauenhäusern aufklärt, kann sowohl positive als auch negative Folgen haben: "Tatsächlich gibt es schon drei Bundesländer, in denen man einsehen kann, in welchen Frauenhäusern noch Plätze frei sind. Das erleichtert Frauen in Not die Suche nach Schutz." Für einige Bundesländer kann das jedoch aufgrund der Finanzierungsart problematisch sein. "Manche Bundesländer finanzieren die Häuser über die Leistungsansprüche der Frau. Also wenn beispielsweise eine Frau Hartz-IV berechtigt ist, wird ihr der Aufenthalt finanziert. Das heißt aber auch: Je weniger Frauen in einem Haus sind, desto weniger Geld bekommt das Haus. Die laufenden Kosten wie Personal und Miete bleiben jedoch unverändert. So entsteht der Druck, eine Vollauslastung aufzuweisen, damit die Finanzierung nicht wegfällt. Das ist jedoch manchmal nicht möglich. Deshalb wird dieser Antrag von manchen kritisch gesehen."

Trotzdem betrachtet Elisabeth Oberthür die aktuellen Entwicklungen als vielversprechend: "Dieses neue öffentliche Bewusstsein ist auch eine große Möglichkeit, Dinge zu bewegen."

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