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Religion

Geschichten aus dem Leben einer Exorzistin

Zu Besuch in einem Hexenhaus voller Pentagramme.

Bebend hält der Priester dem zuckenden Besessenen das Kruzifix vor und betet auf Latein. Der Gottesdiener muss alle Kraft aufwenden, um der teuflischen Macht zu widerstehen, während das Opfer mit den Zähnen knirscht und knurrt. So sehen die meisten Exorzismen in Filmen aus. In Australien werden sie stattdessen von entspannten Frauen im Wohnzimmer durchgeführt. Zumindest ist das bei Lizzy Rose der Fall. Die Mutter arbeitet in ihrem Haus im Melbourner Vorort Keilor und gehört zu den gefragtesten Exorzistinnen des Landes.

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Als sie mich bei sich willkommen heißt, ist sie gesprächig. Wir gehen in die Küche und plaudern ein wenig neben der Spüle. Sie entschuldigt sich für das Chaos, zurzeit renoviere sie und es seien heute schon einige Leute bei ihr gewesen. Neben ihr zieht sich ein riesiges Pentagramm über den Betonboden.

Lizzys Haus ist mit Kristallen und mystischem Kleinkram dekoriert. An der Rückwand des Wohnzimmers hängt ein Stoffbanner mit einem zweiten großen Pentagramm. Ich nehme den Boden genauer in Augenschein und entdecke, dass das Chaos, von dem sie spricht, aus Salz, Wein und anderen rituellen Zutaten besteht. "Na ja, hier wohnen ja auch Menschen. Das soll nicht wie geleckt aussehen", sage ich ein wenig unsicher – was soll man auch erwidern, wenn sich jemand für den Zustand seines Pentagramms entschuldigt.

Lizzy in ihrem Haus

Sie hat viele Bezeichnungen für sich: Exorzistin, Hellseherin, Hexe, Medium. Ich frage sie, was sie denn hauptsächlich tue. "In meiner Arbeit geht es darum, Menschen zu heilen und ihnen Macht zu geben", antwortet sie.

Solche Aussagen sind in Kreisen, die von der neureligiösen, mystischen Wicca-Bewegung beeinflusst sind, nicht selten. Und die Beliebtheit solcher heidnischen Hexen-Praktiken wächst. Doch selbst wenn Kristalle, Räucherzeug, Aura-Lesungen und Tarot-Karten im Mainstream Fuß gefasst haben, die Vorstellung, einen Menschen von einem Dämonen zu befreien, ist für die meisten weiterhin abwegig. Lizzy Rose hat im Laufe ihrer Karriere trotzdem festgestellt, dass Exorzismen immer gefragter werden. Jede Woche erhält sie etwa 20 bis 40 Anfragen. Kurz bevor ich gekommen bin, hatte sie erst wieder drei Anrufer in Folge.

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Vergangenes Jahr warnte die katholische Internationale Vereinigung der Exorzisten vor einem "außergewöhnlichen Anstieg der dämonischen Aktivität". Lizzy meint, die steigende Nachfrage liege an der vermehrten Berichterstattung über die Praxis, und außerdem werde "die Gesellschaft immer toleranter und interessierter an alternativen Heilmethoden".

Die Nachfrage ist also da, doch Lizzy betont, dass Nachfrage nicht gleich Geschäft ist: Sie sei sehr vorsichtig in der Auswahl ihrer Kunden. Im Schnitt führe sie in zehn Tagen zwei oder drei Exorzismen durch. Die Auswahl der richtigen Kandidaten ist nicht immer einfach: "Ich höre das ständig. Die Leute rufen an und sagen: 'Ich bin besessen, ich habe einen Dämonen, ich habe einen Dschinn. Sie müssen ihn loswerden, ich brauche einen Exorzismus.'"

Als erstes ordnet Lizzy für die potentiellen Kunden eine spiritistische Sitzung an, um festzustellen "was ihnen anhängt". Manchmal sei das ein Wesen, aber oft habe es eher mit Drogensucht, psychischer Krankheit und Traumata zu tun. Es ist in der Tat problematisch, wenn eine verletzliche Person, die womöglich körperlich oder psychisch krank ist, bei einem Medium landet. Es gibt auch genügend Beispiele dafür, warum das gefährlich sein kann: Seit der Film Der Exorzist die Praxis 1973 ins öffentliche Bewusstsein rückte, sind Dutzende Menschen bei exorzistischen Ritualen gestorben. Zusätzlich zu den körperlichen Gefahren kommt, dass viele Hilfesuchende Exorzismen als Ersatz für herkömmliche medizinische Behandlungen sehen.

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"Mir ist es sehr wichtig, dass die Person eine richtige Diagnose bekommt", sagt Lizzy. Oft verbringe sie Stunden mit Interessenten, nur um dann festzustellen, dass die Probleme eher emotionaler als übernatürlicher Art sind. Lizzy schätzt, dass sie von 100 angeblich Besessenen, die sie kontaktieren, nur etwa zwei oder drei für tatsächlich besessen hält. Meist erkenne sie die Anzeichen schon früh: "Man kann sehen und spüren, wenn es Präsenzen gibt, bei denen es sich nicht einfach um verstorbene Angehörige, Geistführer oder die eigene Aura handelt."

Wenn sie der Meinung ist, dass das Problem nicht dämonischer Natur ist, ermutigt Lizzy die Hilfesuchenden dazu, sich an Mediziner zu wenden. Im Laufe der Jahre hat sie eine gute Arbeitsbeziehung zu einem Allgemeinarzt aufgebaut, an den sie die potentiellen Kunden oft verweist. Praktischerweise ist nämlich ein Mitglied ihres Zirkels nicht nur Druide, sondern auch Arzt in einem großen staatlichen Krankenhaus. Er bietet diesen Patienten langfristig Rat und Unterstützung. "Als Medium oder Exorzistin hat man eine große Verantwortung, für die Menschen zu sorgen", sagt Lizzy. "Sie verlassen sich auf dich und krempeln ihr Leben basierend auf deinem Rat völlig um. Das muss man sehr ernst nehmen."

Die meisten Exorzismen bereiten Lizzy keine Schwierigkeiten, sie übt den Beruf bereits ihr gesamtes erwachsenes Leben aus. Der Prozess beginnt immer mit einem Gespräch über die Glaubensvorstellungen der Person. Zwar ziehen Anhänger aller Religionen laut Lizzy "sehr ähnliche Symptome einer Energie" auf sich, doch die Zeremonie selbst passt sie an die Religion der Hilfesuchenden an.

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Andere Fälle sind dagegen nicht so einfach und erschüttern auch die Exorzistin. Manche Menschen, die sie behandelt, könnten nicht mehr sprechen, essen oder gehen, oder seien gewalttätig geworden, erzählt sie. Diese Kandidaten beschreibt sie als "typische Horrorfilm-Gestalten, die Wände hochgehen, Blut spucken, sich verrenken und Knochen brechen. Dinge, wo man weiß, dass dieser Mensch sich das nicht selbst antut." Solche Fälle seien selten, sie selbst habe das erst sechsmal erlebt. Dabei sei sie jedoch von einem übernatürlichen Wesen geschlagen, festgehalten und durch die Gegend gezerrt worden. "Man kommt da raus und hat überall blaue Flecken. Gegenstände fliegen oder bewegen sich sehr plötzlich und schnell. Das kann sehr beunruhigend sein." Solche Fälle behandele sie deshalb auch nicht bei sich zu Hause.


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Damals hatte Lizzy zwar noch nicht die Fachsprache gelernt, doch ihr Interesse an anderen Welten hatte sie bereits in der Kindheit. Ihre Familie gehörte zur Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten und unterstützte dieses Interesse nicht, doch die Arbeitgeber ihrer Mutter führten sie in die Welt der paganen Praktiken ein. Sie vermittelten ihr Wissen über Pflanzen, Öle, Rituale und die Natur. Erst als sie Ende der 1980er mit 19 Jahren nach Melbourne zog, fing sie an, Wörter wie "Hexerei" und "Medium" zu verwenden.

Der Exorzismus, wie wir ihn kennen, ist tief im katholischen Glauben verankert, doch Lizzys Überzeugungen sind ein Puzzle aus verschiedenen Glaubensrichtungen, mystischen Lehren und Randwissenschaften. Auf die Frage, woher diese Wesen, die über Menschen herfallen, kommen und wohin sie zurückkehren, beschreibt sie ein Portal oder einen Durchgang, der sich über unseren Körper legt und "in die andere Dimension" führt. Ihre Definition dieser anderen Dimension lautet wie folgt: "Sie besteht zwar aus vielen anderen Dimensionen, aber lässt sich leichter so erklären, dass von unserer Ebene eine Tür zu einer anderen Ebene geöffnet wird, und dann kommen Energien oder Wesen hindurch. Die Tür führt entweder unter oder über unsere Galaxie. Es ist gut, wenn man das Wesen dorthin zurückschickt, wo es herkommt."

Natürlich lässt sich all das schwer erforschen oder beweisen. Als ich ihr gegenübersitze, ist offensichtlich, dass Lizzy das alles ernst meint, doch ich kann mir in der warmen Nachmittagssonne schwer vorstellen, wie ein Dämon in diesem Wohnzimmer sein Unwesen treibt. Trotzdem frage ich, ob sie Tipps hat, wie sich Besessenheit am besten vermeiden lässt – man weiß ja nie.

Sie versichert mir, dass es meist keinen Ärger gibt, wenn man ihn nicht irgendwie selbst herausfordert. Von Ouija-Brettern und Séancen solle man also die Finger lassen. Unter ihren Kunden seien Kinder und Jugendliche überrepräsentiert: "Das kommt ständig vor, besonders bei katholischen Mädchen. Die veranstalten Pyjama-Partys und halten solche Sachen für einen lustigen Zeitvertreib, und auf einmal sind sie besessen", erklärt sie. "Das ist, als würde man ein großes Schild aufhängen, auf dem steht, dass man empfänglich für Besessenheit ist. Wenn etwas Böses gerade vorbeikommt und das sieht, wird es eintreten."

Bevor ich mich verabschiede, machen wir Fotos und unterhalten uns noch ein wenig über die Renovierungsarbeiten. Lizzy hat vor, einen Dielenboden zu verlegen, und ich sage, das werde bestimmt toll aussehen. Sie stimmt zu und erklärt, der Boden werde auch die Basis für ihr drittes Pentagramm – es kommt also über das jetzige auf dem Betonboden. Diesmal werde es aber aus Blut bestehen, erzählt sie. "Wessen Blut?", frage ich, zum ersten Mal seit meiner Ankunft ein wenig beunruhigt. "Ach, meins natürlich", antwortet sie ohne Zögern.

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