Menschen

Wie ich Frieden mit meinem Mädchensein schloss

In meinen Zwanzigern merke ich das erste Mal, wie gut es tut, Freundinnen statt Rivalinnen zu haben.
Collage Bilder der Autorin als Kind und Erwachsene; Wie ich Frieden mit meinem Mädchensein schloss
Links: Kinderbild der Autorin | Rechts: Philipp Sipos

In unserer Ski-Kindergruppe mussten wir die Namen der anderen nicht kennen. Wir unterschieden uns an unseren Helmfarben. Auch sonst ging es ganz kindgerecht zu: Die Anweisungen unserer Skilehrerin, wie wir unsere Ski positionieren mussten, orientierten sich an Mahlzeiten. Spaghetti bedeutete, die Ski parallel zu positionieren und Pizza, dass wir unsere Ski so legen mussten, dass sie oben spitz zulaufen wie ein Pizzastück. Am dritten Tag spürte ich das stundenlange Pizza-und-Spaghetti-den-Hang-runter in meinen Oberschenkeln. Als wir eine Pause machten und ich mir meinen Helm vom Kopf zog, war ein Skifahrer ganz verwirrt. "Hä, ich habe gedacht, du bist ein Junge." Ich fror an meine Nase und war ganz stolz.

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Das Frauenbild, das ich in der Grundschule abzulehnen anfing, war sehr eindimensional. Dazu gehörte zum Beispiel die H&M-Mädchenabteilung und der Max Factor-Lipgloss, den mir meine Cousine schenkte. Oder in Fußballspieler verliebt zu sein, statt einer sein zu wollen. 

Ich ging in der Schweiz zur Schule. Der Fußballspieler Tranquillo Barnetta besuchte unsere Schulturnhalle in St. Gallen, wo er als Kind auch trainiert hatte. Die Tagesmutter einer Freundin, die uns begleitete, schwor sich nie wieder die linke Wange zu waschen. Die hatte sie nämlich an Barnettas rechte Wange gepresst, als sie mit ihrem Nokia-Tastenhandy ein Selfie mit ihm knipste. Peinlich, fand ich.


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In der Vierten ließ sich unser Klassenlehrer von den Jungs, die er auch im Fußballclub unseres Viertels trainierte, duzen. Ich ärgerte mich. Ich fing dann auch an, in einem Mädchenteam zu spielen. Während die Jungs in der Vorrunde eines stadtweiten Turniers ausschieden, belegte unser Team den dritten Platz. Unser Lehrer hieß dann aber trotzdem nie Andreas für uns. 

Mit 14 hatte ich mich in der Pause zwischen Deutsch und Geschichte dazu bekannt, gerne Boybands zu hören. Ich bereute es direkt.  Es gibt das Phänomen “Bystander-Effekt”, das belegt, dass es weniger wahrscheinlich ist, dass einem Opfer geholfen wird, je mehr Zuschauer anwesend sind. Meine Klassenkameraden grinsten. Keiner sprang mir zur Seite. In irgendeiner Fernsehserie hatte jemand mal gesagt, dass man in einer Gruppe attraktiver aussieht. Da standen sie nun alle und lachten und sahen dabei wahrscheinlich auch noch total gut aus. 

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Kurz darauf nahm ich mir vor, Popmusik doof zu finden. Ein paar Freundinnen und ich schwänzten manchmal die Schule, um unter der Woche am anderen Ende der Schweiz auf Metal-Konzerte zu gehen. Die Bandleader schrien rum und ich redete mir ein, sie zu verstehen. Wir gaben uns Mühe dazuzugehören. Wir beschwerten uns nicht über die Kälte beim ewigen Warten vor den Konzerthallen, standen in ständiger Konkurrenz zueinander und tranken Bier. Ich kippte meins manchmal in die Toilette.

Ich kann nicht genau sagen, welche meiner Interessen wirklich meine sind und welche aus dem Drang geboren sind, mich in männlich-dominierten Räumen zu behaupten oder Anerkennung von Männern zu bekommen. 

Obwohl ich jetzt nichts mehr dagegen habe, One Direction zu hören oder Fußballspieler süß zu finden, bleiben immer noch Reste von diesem verinnerlichten Sexismus. 

Ich sehe sie bei meinen Freundinnen. Bei einem Treffen mit einer Freundin tauche ich mit durchsichtigem Oberteil auf und sie erklärt mir, dass ich mich doch glücklich schätzen soll, dass ich keine “Tellernippel” hätte, die finde sie nämlich hässlich. Das ist jetzt wohl dieser “Locker Room Talk”. Ich schäme mich für sie. 

Manchmal schieße ich über das Ziel hinaus. Ich ertappe mich dabei, wie ich immer mehr über Dinge wissen will, die ein männliches Gütesiegel tragen. Ich kenne mich viel zu gut mit Regisseuren aus, auf die sich Indie-Bros auf Tinder einen runterholen. Ich will dann in jeder Diskussion mehr wissen als mein männliches Gegenüber. Aber eigentlich hasse ich dich, Lars von Trier

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Dieses ständige Sich-Beweisen-Wollen ist anstrengend. Irgendwie scheint mir das aber die einzige Möglichkeit, ernstgenommen zu werden. Ich zwinge mich, zu allem eine starke Meinung zu haben. Mein Tinder-Date sagt, dass er Kerouac liest und ich finde ihn direkt doof. Zum Glück spüre ich den dritten Rosé. 

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Einmal habe ich vor der Schule geraucht,  nur um die Kunstleistungskurs-Typen zu beeindrucken. Als ich diesen Sommer vor einer Bar saß, schaute ich einigen Mädchen vor dem Späti gegenüber dabei zu, wie sie so taten, als würden sie immer rauchen. Umständlich klemmten sie die Kippen zwischen Zeige- und Mittelfinger und versuchten sich so zu präsentieren, als würde sie sich nicht gerade vorstellen, wie verdammt cool sie aussehen. Das ich das denke, macht mich wütend. Ich will, dass sich Frauen ausprobieren können, ohne in Frage gestellt zu werden. 

Lange fühlte ich mich unwohl in meinen Freundschaften zu anderen Frauen. Zu lange stand ich in Konkurrenz mit ihnen. In meinen Zwanzigern merke ich das erste Mal wie gut es tut, Freundinnen statt Rivalinnen zu haben. Weil ich mich während meiner Teenagerjahre oft in Männergruppen wiedergefunden habe, fehlte es mir lange an Frauenfreundschaften. Plötzlich wollte ich nun das, was ich als Kind und Teenagerin immer abgelehnt hatte: eine Freundin. Wie im Film. Eine, mit der man Haare flechten und über Jungs reden kann. Solche Freundinnen habe ich jetzt. Ich rede mit ihnen über Jungs und über das Sich-Beweisen-Wollen. Dann sind wir ganz froh, dass wir uns wenigstens untereinander nichts beweisen müssen.

Mittlerweile versuche ich, Dinge nicht wegen Männern zu tun. Vielleicht gebe ich bald öffentlich zu, dass ich Fight Club gar nicht mag. 

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