Was ich während meiner ersten 36 Tage bei Crystal Meth Anonymous gelernt habe

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Entzug

Was ich während meiner ersten 36 Tage bei Crystal Meth Anonymous gelernt habe

Zwar wurden auf Meth all meine sexuellen Fantasien Wirklichkeit, doch die Erkenntnis, süchtig zu sein, hat mein Leben für immer verändert.

Crystal Meth war für mich nie ein tägliches Ding. Ich war auch noch nie vier Tage am Stück drauf. Mein Konsum war jedoch ausreichend, um in mir die Angst vor einer Sucht zu wecken. Und wie sagt man beim Entzug so schön: Wenn man glaubt, ein Problem zu haben, dann hat man auch ein Problem.

Ich habe im August 2015 angefangen, Crystal Meth zu rauchen. Damals lebte ich noch in Los Angeles und mein Leben bot den perfekten Nährboden, um einer schlechten Angewohnheit zu verfallen: Ich hatte gerade mein Traumpraktikum bei meiner Traumpublikation an Land gezogen und stand deswegen jeden Tag unter Stress—ich wollte ja gut sein und meine Kollegen beeindrucken. Dazu kam, dass ich in der Stadt quasi niemanden kannte und auch nicht wirklich darauf aus war, neue Menschen kennen zu lernen. Ich hatte nämlich noch einen festen Freund auf der anderen Seite des Landes. Diese Beziehung ging dann jedoch plötzlich in die Brüche, das Praktikum war vorbei und die Verwandten, bei denen ich wohnte, entschieden sich dazu, wieder zurück an die Ostküste zu ziehen. So musste ich mir von heute auf morgen eine neue Bleibe suchen. Ich schlug mich erstmal mit Couchsurfing durch und verließ mich auf die Großzügigkeit der schwulen Männer, die ich kannte. Dann begann ich damit, ab und an als Escort zu arbeiten und One-Night-Stands zu haben, um mich von meinem Ex abzulenken. Und eines Abends rauchte ich dann bei einer Sexparty in West Hollywood zum ersten Mal Meth.

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Als ich Los Angeles im Januar den Rücken kehrte, nahm ich die Droge schon jedes Wochenende. Und ich konnte mich dem ganzen leidenschaftlichen und versauten Sex hingeben, von dem ich schon immer geträumt hatte: nächtelange Gangbangs mit 20 Männern, Fisten, Sexclub-Marathons oder XL-Sexspielzeug. Ich wollte schon immer ein besserer Bottom sein und auf Crystal Meth hatte ich absolut kein Problem mehr damit, penetriert zu werden. Auch dann nicht, wenn es brutal wurde. Ich kann mich noch schemenhaft an die ganzen Saunaräume und Schlafzimmer erinnern, in denen ich die Beine in die Luft streckte und von unbekannten Typen riesiges Sexspielzeug in den Arsch geschoben bekam. Und auch das Fisten, was ich vorher nur ein paar Mal ausprobiert hatte, fiel mir viel leichter—zumindest dann, wenn ich high war.


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Dann begannen jedoch die Probleme. Ich hatte vorher schon alle möglichen Drogen genommen und es war nie schwer gewesen, wieder damit aufzuhören. Nun verspürte ich jedoch zum ersten Mal in meinem Leben ein Verlangen. Und das einfach so, mitten am Tag. Immer wenn ich an Sex dachte, wollte ich direkt Meth rauchen. Und das tat ich dann auch.

Später sollte ich erfahren, dass Crystal Meth richtig viel Dopamin im Gehirn freisetzt, nämlich fast viermal so viel wie Kokain. Das kann zu Anhedonie führen. In anderen Worten: Man ist nur noch high dazu in der Lage, Lust und Freude zu verspüren. Man braucht Meth, um Sex genießen zu können. Während des Entzugs muss man dann oft eine ganze Weile auf Sex verzichten (manchmal sogar Jahre), bis man wieder intim werden kann, ohne den Wunsch nach der Droge zu verspüren. Manche Abhängigen schaffen das nie.

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Ich zog schließlich von Los Angeles zurück an die Ostküste, um wieder mit meinem Ex zusammenzukommen (erfolglos) und um vom Crystal Meth wegzukommen. Ich war der Meinung, einfach nur einen Tapetenwechsel zu brauchen. Ein paar Monate lang war dieser Tapetenwechsel auch ausreichend. An einem erotisch aufgeladenen Abend trauerte ich meinem Ex allerdings besonders intensiv hinterher und griff wieder zur Pfeife. Ein paar Wochen später das Gleiche. Und dann nochmal. Plötzlich war ich in alte Muster zurückgefallen.

Nachdem ich vergangenen Monat einen besonders schlimmen Rückfall erlitten hatte, schrieb ich während des Comedowns einem Freund: "Ich bin wieder schwach geworden. Ich habe ein Problem." Er riet mir, zu einem Treffen von Crystal Meth Anonymous für Homosexuelle zu gehen.

Dieses Programm ziehe ich jetzt schon seit 36 Tagen durch. Crystal Meth Anonymous baut auf den Methoden der Anonymen Alkoholiker auf und bevor ich selbst eintrat, hatten solche Gruppentherapien für mich immer etwas Komisches und Sektenhaftes an sich. Eigentlich denke ich auch heute noch so. Aber die hübschen Gesichter der anderen Anwesenden sowie die tiefgreifenden Unterhaltungen helfen mir dabei, das Ganze nicht wieder abzubrechen. Und darüber bin ich sehr froh.

Erst am zwölften Tag konnte ich einsehen, dass ich wirklich ein Problem habe. Das ist bisher der schwierigste Schritt gewesen und es fühlte sich in gewisser Weise so an, wie damals, als ich meine HIV-Positiv-Diagnose bekommen habe. Sich eine Abhängigkeit einzugestehen, bedeutet zu erkennen, dass das gesamte Leben von diesem Punkt an anders sein wird. Eine Sucht geht niemals ganz weg, egal wie lange man auch nüchtern ist. Selbst der kleinste Zug wirft einen komplett zurück. Außerdem datet und macht man anders rum. Und die Beziehungen zu Sexclubs, Schwulenbars, Pride-Veranstaltungen und anderen erotischen Treffen wie etwa dem Folsom Street East Festival verändern sich.

Es gibt jedoch einen gewaltigen Pluspunkt: Nach ein paar Wochen des Entzugs wird einem klar, wie stark der Zusammenhalt im Freundeskreis wirklich ist. Man kann die Homosexuellen-Community zwar auch für ihre (vielen) Fehler kritisieren. Aber an Tag 15 nahm ich etwas Abstand und dachte darüber nach, wie viele meiner queeren Brüder und Schwestern—egal ob clean oder nicht—sich seit dem Beginn meines Entzugs richtig angestrengt haben, um mich so gut wie möglich zu unterstützen. Schwule Mitglieder in meinem Fitnessstudio, mit denen ich sonst lediglich Smalltalk machte, boten mir ihre Hilfe an, während Freunde, die ich schon seit Monaten kenne, mich nur ganz selten einladen, wenn sie abends etwas unternehmen. Und quasi unbekannte Leute aus dem Programm luden mich ein, mit ihnen ins Kino zu gehen.

Die Treffen haben jedoch immer noch diesen Sekten-Touch und beginnen jedes Mal mit dem gleichen Ritual: Jemand liest die zwölf Regeln vor und betet die Einführung herunter. Der Leiter liest anschließend aus dem Blauen Buch der Anonymen Alkoholiker vor, das hier übrigens so etwas wie die Bibel ist. Als Atheist habe ich zwar mit den spirituell angehauchten Passagen des Buches zu kämpfen, aber es gibt im Programm auch andere Atheisten, die einfach an die Gruppe selbst glauben und dadurch bestärkt werden.

2015 hieß es im Magazin Advocate, dass homo- und bisexuelle Männer, die in Großstädten leben, fünf- bis zehnmal häufiger Meth konsumieren als die durchschnittliche US-Bevölkerung. Diese Zahl basiert auf Daten der International Antiviral Society aus dem Jahr 2006. Und ungefähr 85 Prozent der Meth-Konsumenten nehmen die Droge regelmäßig. Ich kann schon gar nicht mehr sagen, wie oft ich bei Crystal Meth Anonymous jetzt schon den Ausdruck "stille Epidemie" gehört habe. Mir ist klar geworden, dass die Medien sich wenig mit dem Thema Meth-Sucht beschäftigen und wie sehr das Thema in der Homosexuellen-Community stigmatisiert wird. Im Vergleich dazu bekommen HIV und Geschlechtskrankheiten übermäßig viel Aufmerksamkeit in der Presse. Aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch, dass Crystal Meth so gut wie jeden meiner schwulen Bekannten betrifft—persönlich, oder weil sie einen Süchtigen kennen. Und das ist für mich genauso tröstlich wie ernüchternd.

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