Die Frauen in 'Die Sopranos': Carmela Soprano, Gloria Trillo, Adriana la Cerva
Fotos mit freundlicher Genehmigung von HBO

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Serie

Das Interessanteste an 'Die Sopranos' sind die Frauenfiguren

In der Mafia-Serie sind Frauen entweder Ehegattinnen oder Affären, als komplexe Wesen werden sie von Männern nie gesehen. Trotzdem haben sie mir beigebracht, mein eigenes Leben besser zu verstehen.

Eines Nachts schrieb mir ein Typ, mit dem ich seit Jahren ab und an mal Sex hatte, eine Nachricht: "Hast du jemals Die Sopranos gesehen?" Ich verneinte und fragte, warum er das wissen wolle. Seine Antwort: "Du erinnerst mich an Gloria Trillo." Erstmal freute ich mich richtig, dass ich ihn an irgendjemanden erinnerte. Damit gab er schließlich zu, dass er an mich dachte. Normalerweise war er extrem unzugänglich und schottete sich emotional ab – also das genaue Gegenteil von mir. Ich googelte Gloria Trillo und fand ein Stockfoto von einer schwarz gekleideten Brünette mit einem halb verführerischen, halb abwesenden Blick, die mit angezogenen Beinen auf dem Sessel ihrer Therapeutin sitzt. Genauso sitze ich in der Therapie auch immer da.

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Ich las, dass Gloria eine zeitlang die Geliebte von Mafiaboss Tony Soprano ist. Er ist sofort von ihr fasziniert und sie beginnen eine leidenschaftliche Affäre. Nachdem er merkt, wie instabil sie psychisch wirklich ist, verlässt er sie. Das passiert Gloria nicht zum ersten Mal: Alle ihre Partner verlassen sie, wenn sie merken, dass sie "verrückt" ist. Denn Gloria ist kein "Manic Pixie Dream Girl", wie man den Frauentyp in Filmen und Serien nennt, der auf sympathische Weise ein bisschen durchgeknallt ist. Gloria hat ernste, psychische Probleme. Ihr selbstzerstörerisches Verhalten kann sie nur mit Mühe hinter ihren glattgeföhnten Haaren, Lederjacken und selbstbewusstem Auftreten verstecken.

Als ich mich ein Jahr später durch Die Sopranos suchtete, interessierte mich ihre Storyline besonders. Und eine Szene blieb mir dabei besonders im Gedächtnis. Gloria lädt Tony auf ein Date in den Zoo ein und sie haben Sex neben einem Schlangenkäfig. "Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen", sagt er. Das erinnerte mich wieder an meine Affäre mit dem Typen vom Anfang. Er hatte noch nie jemandem wie mich getroffen. Wahrscheinlich sollte das heißen: Er hatte noch nie eine Frau getroffen, die so besessen davon war, ihre innersten Gefühle zu analysieren – auch wenn ich den Ausspruch damals romantisierte. Oder vielleicht verstand ich auch genau, was er meinte, und nahm einfach, was ich kriegen konnte.

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Wenn meine Gefühle und mein Verlangen nach emotionaler Nähe schon nicht erwidert wurden, konnte ich mich wenigstens damit trösten, dass meine Intensität einzigartig und faszinierend war.

Tony und Gloria im Zoo

Tony und Gloria im Zoo | Foto mit freundlicher Genehmigung von HBO

Glorias und Tonys Beziehung wird immer intensiver und gipfelt schließlich in einem heftigen Streit: Er hat sie verlassen, weil ihm die Affäre keinen Spaß mehr macht, nachdem sie ihm ihre wahre, dunklere Seite gezeigt hat. Sie ruft ihn heulend an und er fragt, was nicht stimmt. "Ich weiß es nicht", sagt sie immer und immer wieder, der Refrain von Frauen auf der ganzen Welt, die von ihrer eigenen Verzweiflung verwirrt sind und nicht die Kraft haben, es dem Partner schon wieder zu erklären. Sie sagt: "Ich halte das nicht mehr aus." Er fährt in ihre Wohnung und macht noch einmal mit ihr Schluss. Als er gehen will, droht sie, seiner Familie von der Affäre zu erzählen. Er stürzt sich auf sie, drückt sie auf den Boden und würgt sie. Er sagt, dass er sie umbringen wird, wenn sie sich seiner Familie nähert – und er ist Tony Soprano, das sind keine leeren Worte. Es wirkt fast so, als ob seine Drohung ihr neue Kraft gibt. "Bring mich um", zischt sie und spuckt ihm ins Gesicht. Ich liebe sie.

Die Frauen der Sopranos erinnern mich ein bisschen an Ariana Grandes ikonischen Song "Thank U, Next". In dem Lied singt Grande über ihre Ex-Freunde: "One taught me love / one taught me patience / one taught me pain". Der Song inspirierte viele Memes, in denen die drei Textzeilen jeweils mit einem Bild gepostet werden. Ich selbst erstellte auch eins mit den weiblichen Charakteren aus Die Sopranos: Adriana la Cerva, die fast Tonys Neffen heiratet (Liebe), Tonys Ehefrau Carmela Soprano (Geduld) und Gloria Trillo, seine Geliebte aus Staffel 3 (Schmerz).

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Für mich ist Die Sopranos die beste Fernsehserie aller Zeiten und James Gandolfini war in der männlichen Hauptrolle brillant. Doch neben Tony faszinierten mich vor allem die Frauen in seinem Leben. Das sage ich nicht, um der Serie eine feministische Interpretation aufzudrücken. Die weiblichen Charaktere, die im Schatten eines überlebensgroßen Patriarchen leben, erfüllten mein Leben wortwörtlich mit Sinn, während ich die Serie verschlang. Durch sie lernte ich, mein eigenes Verhalten besser zu verstehen.

Jede Figur in der Serie, ob mit ihm verwandt oder nicht, ist Tony untergeordnet. Sie existieren nur, weil Tony existiert. Die Frauen in der Serie machen Fehler, während er unfehlbar ist. Egal, was Tony in der Serie tut, er hat immer recht: Er ist der Boss, er kontrolliert die Geschichte seiner Familie. Die Frauen hingegen können Scheiße bauen und dafür getötet oder verbannt werden. Ihre Verletzlichkeit und Fürsorge kann sie schützen, aber nicht immer retten. Ich brauchte eine ganze Weile, um zu verstehen, dass auch meine sanfte Seite mich nicht davor retten kann, einsam zu sein. In Beziehungen stieß meine Hingabe oft auf Irritation oder sogar Ablehnung.

Familienessen bei den Sopranos

Familienessen bei den Sopranos | Bilder mit freundlicher Genehmigung von HBO

Es gibt viele Gründe, warum ich den Sopranos so verfallen bin. Der Kommentar von dem Typen am Anfang war sicher einer davon. Dass er mir sagte, dass ich der kaputtesten Frau in einer Serie voller kaputter Frauen ähnelte, wirkte wie ein Zauberbann auf mich, der mich der Serie näher brachte. Vielleicht erinnern mich die Beziehungen in der Serie auch an meine eigene Familie, die zum Teil italienische Wurzeln hat. Durch diesen Zweig meiner Familie bin ich mit dominanten aber geliebten Patriarchen nur allzu vertraut, die mich an Tony und seine Capos erinnern. Väter und Ehemänner, die ihre Ehefrauen lieben, sie aber trotzdem betrügen, sie verbal fertig machen und danklos das Essen essen, dass sie auf den Tisch zaubern.

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Während ich die Serie schaute, wollte ich gleichzeitig Tonys Ehefrau und Geliebte sein. Ich wollte Irina aus der ersten Staffel sein, die auf Tonys Boot auf ihn wartet und die Manolo Blahniks anprobiert, die er ihr geschenkt hat. Ich wollte Gloria in der dritten Staffel sein, die mit seiner Waffe spielt und ständig droht, einen Schritt zu weit zu gehen. Und ich wollte seine Ehefrau Carmela sein, die ihm am Ende des Tages mit ihren perfekt manikürten Nägeln über den Kopf streichelt. Mit der Serie konnte ich alle meine romantischen Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen: Ich konnte mich zu extremer Maskulinität hingezogen fühlen und gleichzeitig heterosexuelle Geschlechterrollen in Frage stellen. Mein geheimer Wunsch nach Ehe und einem geordneten Leben durften neben meiner selbstzerstörerischen Vorliebe existieren, die andere Frau zu sein.

Von den drei Frauen in der Serie, die mir am meisten bedeuten, sterben zwei. Lange, nachdem es zwischen Tony und Gloria aus ist, erfahren wir von ihrem Suizid. Adriana la Cerva, die mit Tonys Neffen Christopher verlobt war, wird von Tonys Leuten ermordet, weil sie mit dem FBI zusammengearbeitet hat. Nach ihrem Tod konnte ich die Serie einige Monate nicht weiterschauen. Adriana liebt Christopher, aber ist, wie alle Frauen in der Serie, sehr einsam.


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Ich wusste von Anfang an, dass es für Adriana nicht gut ausgehen würde. Als ich zu Beginn der Serie nach Bildern googelte, las ich versehentlich etwas über ihr Verschwinden. Als sie Christopher die Wahrheit sagt und er es Tony erzählt, soll Silvio sie umbringen. Er nennt sie Fotze und erschießt sie, während sie im Wald vor ihm wegkriechen will. Ihr Tod brach mir das Herz. Nicht nur, weil ich den Charakter mochte, sondern weil es mir vor Augen führte, wie schnell sich Loyalität in Feindschaft wandeln kann. Denn auch Frauen, die unsichtbar im Hintergrund für einen männlichen Anführer arbeiten, besitzen wertvolle Informationen und sind nicht von Angriffen von außen geschützt. Wir müssen diese Mitglieder unserer Gesellschaft genauso ehren und schützen, wie ihre männlichen Gegenstücke. Adriana erinnert uns daran, dass wir einander vertrauen müssen und nicht gegeneinander arbeiten sollten – egal, ob es sich dabei um eine furchteinflößende Institution, einen übergriffigen Partner oder repressiven Patriarch handelt.

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Während der #MeToo-Debatte sah ich viele Geschichten über "gute" Kerle, die die Frauen in ihrem Leben oder politischen Diskussionen wie Dreck behandelten. Die Frauen in Die Sopranos kochen, putzen, lutschen Schwänze, sehen gut aus und kümmern sich um die Kinder. Die meisten von ihnen enden suizidgefährdet, entfremdet oder tot. Diese Frauen spielen eine zentrale Rolle in den Machenschaften des Mobs – so wie Frauen überall in politischen und subversiven Bewegungen zentrale Rollen einnehmen –, trotzdem werden sie oft behandelt, als seien sie austauschbar.

Ohne die Ehefrauen und Geliebte, die sie umsorgen, wären auch Tony und seine Hintermänner nichts. Diese Tatsache wird jedoch nicht anerkannt. Schlimmer noch: die Frauen in der Serie werden nicht nur ignoriert, sie werden grausam behandelt.

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Foto mit freundlicher Genehmigung von HBO

Carmela ist die einzige, die ein echtes Leben zu führen scheint. Trotz ihrer schier endlosen Geduld hat sie Tonys Untreue satt und verlässt ihn in der vierten Staffel. Mit dem Versprechen, in ihr Unternehmen zu investieren, kehrt sie in der fünften Staffel zu ihm zurück. Obwohl sie in der Serie die betrogene Ehefrau ist, wird sie trotzdem als begehrenswert dargestellt. Bei seinen Affären geht es immer nur um Tony: seine Gier, seinen Stress, seinen Beschützer-Komplex, seine Vorliebe für kaputte Frauen.

Carmela möchte eigentlich nur Tony, das sagt sie ihm in einer herzerweichenden Szene in der Mitte der zweiten Staffel. Er sitzt auf dem Bett, in seinem weißen Unterhemd, erschöpft wie immer. Sie küsst ihn zärtlich auf den Kopf und Hals. Er stimmt einer Vasektomie zu, woraufhin sie sagt, dass sie das nicht mehr möchte. Er ist perplex, schließlich hatte sie den Eingriff ursprünglich vorgeschlagen. Es ist diese Verwunderung, die Tony jeder Frau in seinem Leben entgegenbringt, die mir auf perverse Weise den meisten Trost spendet.

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Ich habe diese Verwunderung bei Männern so oft gesehen. Auch wenn es weh tut, missverstanden zu werden, suche ich manchmal Schutz darin. Ich glaube fest daran, dass sie sogar die Basis für meine heterosexuellen Beziehungen bildet: Da ich davon überzeugt bin, dass kein Mann mich jemals komplett verstehen wird, ist es ok, wenn wir weiterhin unsere unabhängigen Leben führen, selbst wenn wir uns lieben. Wenn mich jemand vollständig verstehen würde, wird mir schnell langweilig.

Tony scheint etwas von dem zu bestätigen, was ich fühle: Es ist ganz egal, wie ich mich verhalte – wie eine Ehefrau, eine Geliebte, abhängig, unabhängig –, ein Teil von mir wird für mein männliches Gegenüber immer undurchsichtig bleiben, so wie die Frauen in Tonys Leben für ihn undurchsichtig bleiben. Da bin ich sicher.

In der Szene auf dem Bett fragt Toni Carmela schließlich frustriert, was sie möchte. Sie sagt, dass sie nur ihn will, und dass er ihr treu ist. Als er es ihr verspricht, unterbricht sie ihn. Sie möchte nicht, dass ihr perfekter Traum durch eine Lüge beschmutzt wird.

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