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Marc Victor: Geplant habe ich das nie. Eigentlich arbeitete ich als Journalist und fing als Theaterkritiker an. Dann bin ich für den französischen Radiosender RFI sechs Jahre lang nach Kambodscha gegangen. Als ich nach Paris zurückkehrte, war mir richtig langweilig. 2002 wurden schließlich die Taliban besiegt und ich entschied mich dazu, in Afghanistan für eine NGO zu arbeiten und dort Journalisten auszubilden, um die afghanische Medienlandschaft wieder aufzubauen. Als dieses Projekt nach ein paar Jahren beendet war, wollte ich in Kabul bleiben. Meine Freunde haben sich immer wieder darüber beschwert, dass es dort keinen vernünftigen Ort zum Feiern gibt. Diesen Umstand nutzte ich dann aus.
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Gab es dort zu diesem Zeitpunkt schon irgendwie eine Partyszene?Motherboard: Afghanistan-Veteranin Kinessa Johnson macht in Afrika Jagd auf Wilderer
In der Expat-Gemeinschaft waren vor allem junge Singles zwischen 20 und 30 unterwegs. Eigentlich ging es zu wie an einer Uni: Sie arbeiteten hart, hatten viel Stress und wollten dementsprechend auch ordentlich feiern. Bevor ich meinen Club aufmachte, wurden ab und an Partys in den NGO-Zentralen oder in der amerikanischen Botschaft veranstaltet. Als es dann jedoch das L'Atmosphere gab, kamen sie alle zu mir. Vor allem am Donnerstag ließen sie immer die Korken knallen, weil freitags jeder frei hatte.
Wenn man in einem Kriegsgebiet lebt, ist man ständig total angespannt. Man weiß nie, was am nächsten Tag passieren wird. Das wirkt sich auch auf die zwischenmenschlichen Beziehungen aus. Die ganzen NGO-Mitarbeiter hatten ständig wechselnde Sexpartner, was durch den Umstand, dass sie alle in den gleichen Mehrbettzimmern wohnten, nur noch komplizierter gemacht wurde. Sie arbeiteten, lebten, feierten und schliefen miteinander. Sie standen dauernd unter Strom und brauchten deshalb dieses Ventil.Wie betreibt man in einem Land, in dem Alkohol verboten ist, eine Bar?
Es war ein ständiger Kampf, Alkohol zu besorgen. In Afghanistan kommt man leichter an Drogen als an Bier oder Schnaps. Am Anfang gab es noch Läden, die Alkohol an Expats verkauften, aber die mussten irgendwann schließen, und ich war gezwungen, mich an die Militärstützpunkte zu wenden. Als es dort dann auch nichts mehr gab, war meine letzte Quelle der Schwarzmarkt. Dort kostete die Ware jedoch ein Vermögen und ich wusste nicht mal genau, was ich da überhaupt bekam.
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Sechs Jahre Kabul haben mich einfach ausgelaugt. Bis 2006 war es dort für Zivilisten und Ausländer eigentlich gar nicht mal so schlecht, weil sich die Auseinandersetzungen auf das Militär und die Taliban beschränkten. Aber dann ging es mit den Entführungen und Selbstmordanschlägen los. 2008 gab es einen Anschlag auf das Serana-Hotel: Ein Terrorist betrat die Lobby und sprengte sich selbst in die Luft. Dabei kamen sechs Menschen ums Leben. Der Anschlag galt eindeutig den Leuten, die nicht aus Kabul kamen. Ich schloss meinen Laden für einen Monat und entschied mich dann dazu, das Land zu verlassen.
Am Anfang ging es noch. Im Laufe der Jahre wurde die Situation zwischen den Einheimischen und den Ausländern jedoch immer angespannter und ich musste dementsprechend mehr Security-Personal einstellen. Am Ende waren ständig sechs bewaffnete Security-Mitarbeiter, Sandsäcke, mehrere Sicherheitstüren und Metalldetektoren im Einsatz. Garantierte Sicherheit wurde zu einem Ding der Unmöglichkeit.
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Ich hatte eigentlich immer ein gutes Verhältnis zu meinen Nachbarn, denn ich habe auch viele von ihnen oder ihre Familienmitglieder angestellt. Um den Swimmingpool habe ich auch sofort einen Zaun errichtet, damit niemand auf das Gelände blicken konnte. Manchmal haben die Nachbarskinder jedoch kleine Löcher reingebohrt, um die weiblichen Gäste auschecken zu können.
Hattest du jemals irgendwelche moralischen Probleme damit, aus einem Krieg Profit zu schlagen?
Als ich 2002 in Afghanistan ankam, herrschte dort kein Krieg. Die Taliban waren besiegt und bin Laden schon längst über alle Berge. Nach einem Konflikt muss ein Land doch auch irgendwie wieder anfangen zu leben. 90 Prozent meines Umsatzes sind außerdem in Afghanistan geblieben. Einige NGO-Typen wollten mir auch einreden, dass es falsch sei, dort ein solches Etablissement aufzuziehen, weil sie der Bevölkerung ja eigentlich dabei helfen sollten, nicht zu trinken und Party zu machen. Sie meinten anfangs auch immer, niemals ins L'Atmosphere zu kommen, aber die meisten sind dann doch eingeknickt, weil ihnen irgendwann einfach langweilig wurde und sie einen Drink brauchten.Ist der Club heute noch geöffnet?
Nein. Nach meinem Abgang war er zwar noch eine Weile offen, aber irgendwann wurde der weitere Betrieb unmöglich. Letztendlich wurde das Gebäude plattgemacht und heute befindet sich dort ein Parkplatz.