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Warum die „Emma“ Gift für die Emanzipation ist

Ich habe mir zum ersten und letzten Mal das selbsternannte Sprachrohr des deutschen Feminismus gekauft.

Alle Fotos: Jermain Raffington

Wenn ich so darüber nachdenke, ist es eigentlich ziemlich schade, wie sehr das Klischee der männerhassenden, stetig echauffierten Emanze mein Bild von Feminismus nach wie vor prägt. Ich bin Mitte 20, koche schlechter als die meisten Männer, die ich kenne, und sehe mich im Allgemeinen in den seltensten Fällen in der Position einer rollenspezifisch festgelegten, vom männlichen Patriarchat unterdrückten Frau. Aber da kann ich eben auch nur für mich sprechen. Dass Emanzipation vor allem für die Gleichberechtigung der Geschlechter eintritt und kein Kampffeld für die finale Schlacht zwischen Gut (Frauen, natürlich) und Böse (Männer) bereiten soll, geht für mich bei hysterischen Social-Media-Kampagnen wie #aufschrei oder der aggressiv inszenierten Sexualität einer Lady Bitch Ray etwas unter. Und das wiederum ist eine Meinung, die definitiv nicht nur ich teile.

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Ganz vorne an der Front der Super-Emanzen steht seit geraumer Zeit vor allem eine: Alice Schwarzer. Neben ihrer regen Beteiligung an Podiumsdiskussionen in und außerhalb von Talkshow-Studios ist es vor allem die Emma, über die sie ihr feministisches Dogma verbreitet. Die Zeitschrift erscheint seit Ende der 70er Jahre, wird immer gerne dann zitiert, wenn es um Prostitution oder die Sexualisierung der Frau im Allgemeinen geht, und ich habe sie noch nie in meinem Leben in der Hand gehabt. Bis heute.

Das selbstverstandene Sprachorgan des deutschen Feminismus führt seinen Kampf für Gleichheit und feministischer Gleichschaltung mit teilweise so radikalen Mitteln, dass es immer mal wieder für einen Shitstorm reicht. Als Leser unter dem Hashtag #EMMAistfuermich kürzlich etwa dazu aufgerufen wurden, ihre (positive) Meinung zur Zeitung—passend zum Erscheinen der aktuellen Ausgabe—kundzutun, ging das Ganze ein bisschen ​nach hinten los. Grund dafür war unter anderem eine der Überschriften auf eben jener aktuellen Ausgabe: „Beyoncé—Emanze oder Schlampe?"

Es schien der perfekte Zeitpunkt für eine Erstlektüre und somit auch die Gelegenheit, meine Vorurteile gegenüber Schwarzer und Konsorten auf die Probe zu stellen. Dass Feminismus vom Grundtenor her weder verbissen noch radikal, sondern vor allem ein begründeter Wunsch nach geschlechterübergreifender Fairness ist, war mir immer klar. Jetzt galt es, meine Vorurteile gegen die Wegbereiterinnen und Marktschreierinnen des Geschlechterkampfes auf die Probe zu stellen. Vielleicht würde mir die Emma wirklich eine vollkommen neue Perspektive auf meine Position als Frau in der heutigen Gesellschaft bieten. 7,50 Euro zahle ich für das Magazin, das mit einer halbnackten Frau vom „Straßenstrich", „Uni-Gewalt", „Ost-Power" und Beyoncé auf dem Cover wirbt. Wenn das die feministische Revolution im Jahr 2014 ist, habe ich bisher wohl nicht so wahnsinnig viel verpasst.

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Grundsätzlich gefällt die Aufmachung der Emma und unterscheidet sich inhaltlich nicht zwingend von Stern, Spiegel und Co. Politik, Kultur, Kolumnen zu aktuellen Streitthemen und jede Menge Interviews—anders als bei der Print-Konkurrenz ist auf den ersten Blick nur, dass hier primär von Frauen über Frauen für Frauen geschrieben wird. Sogar der Shitstorm-Artikel über die Zeigefreudigkeit von Popstars wie Beyoncé und Miley Cyrus ist nicht ganz so radikal, wie man zuerst gedacht hätte. Ja, auf der einen Seite bestätigt sich das Klischee der blutleeren Emanze, die jeder Frau den Status als Feministin abspricht, die ihre Freiheit als Frau etwas offener und alternativer interpretiert als Alice Schwarzer. Auf der anderen Seite gibt es dann aber auch noch den Kommentar einer anderen Redakteurin, die bei Beyoncé nicht nur die halbnackte Mainstream-Göttin, sondern eben auch die Schreiberin „feministischer Pop-Hymnen" sieht.

Auch Lena Dunham, die die Nacktheit in US-amerikanischen Frauenserien geradezu revolutioniert hat, findet mit ihrem neuen Buch Erwähnung, wirklich interessant ist aber die Titelgeschichte: Zusammen mit einer Sozialarbeiterin hat die Autorin Bettina Flitner mehrere hundert Kilometer des Straßenstrichs an der deutsch-tschechischen Grenze abgeklappert und die dort arbeitenden Prostituierten nach ihren Träumen gefragt. Die dabei entstandenen Fotos—faltige Bäuche und schlecht sitzende Unterwäsche vor trostlosen Feldern und Gestrüpp—gehen wirklich unter die Haut. Auf den folgenden Seiten kommt die Anti-Prostitutions-Agenda der Emma dann allerdings wieder mit dem Vorschlaghammer. Mit Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten, ohne durch widrige Umstände dazu gezwungen zu sein, und dementsprechend eine „Professionalisierung" der Branche befürworten würden, wollte man sich anscheinend nicht ergebnisoffen unterhalten.

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Und gerade dann, wenn man das Gefühl hat, dem angeblichen Zugpferd des radikalen deutschen Feminismus all die Jahre lang Unrecht getan zu haben, blickt man plötzlich wie aus dem Nichts doch noch in die abstoßende Fratze der feministischen Selbstgerechtigkeit. Da behauptet Alice Schwarzer, man bekämpfe den „IS und seine bärtigen Brüder" am effektivsten „mit der Bildung und Gleichberechtigung der Frau", als ginge es den Terroristen vor allem darum, sich gegen die Frauenquote zu positionieren. Da wird davon gesprochen, dass „nicht alle Muslime" Anhänger des Gottesstaates sind, während sich ein paar Seiten weiter Sonya Kraus (ja, die mit dem tiefausgeschnittenen Glitzerkleid aus der Trash-Sendung ​Talk, Talk, Talk) über den Islam auslassen darf, für den sie „schleierschwarz" sieht, obwohl die Welt doch so „regenbogenfarben" ist.

Da stolpert eine Autorin in ihrer Kolumne „Kerstins Welt" miesepetrig durch ein Musikgeschäft und scheint nur darauf zu warten, auf irgendeine Art und Weise sexistisch angegangen zu werden („Seit jeher betrete ich Musikgeschäfte wie eine Geisterbahn. Immer mit einem vorbereiteten Satz auf den Lippen und in meiner kompletten Ledermontur […] um Stärke zu demonstrieren. Denn als Frau fällt man dort auf.") Da regt sich eine ihrer Kolleginnen über das Mutter-Shaming im Prenzlauer Berg auf und merkt allen Ernstes an: „In einer nicht frauenfeindlichen Welt wären Männer und ihre Autos die Nervensägen." Was soll das überhaupt bedeuten? Wenn die Emma über Seiten hinweg nichts anderes tut, als sich über vermeintlich sexistische Rollenklischees zu echauffieren, wieso ist es dann gerade eine Redakteurin, die sich im seit Jahrzehnten überholten Bild des technikaffinen Mannes und der im krassen Gegensatz dazu stehenden, Kinder durch die Gegend schiebenden Mutti suhlt? Soll die geneigte Leserin durch solche Aussagen instrumentalisiert oder verarscht werden?

Im Allgemeinen stellt sich mir nach eingehender Lektüre die Frage, wer genau durch die Emma eigentlich angesprochen werden soll. Semi-reflektierte Mittvierzigerinnen, die in den Leserbriefen stolz erzählen, dass sie bei der Trauung auch einen Anzug getragen haben, damit sie und ihr Mann sich auf „Augenhöhe" befinden? Oder doch die Sparte der permanent Unverstandenen, die ein Zeitungsäquivalent zum Kaffeeplausch mit Freundinnen brauchen, bei dem man sich in schwesterlichem Ton über die aktuellen Geschehnisse in der Welt austauscht? Und ab und an legt man die Kuchengabel dann beiseite, um sich die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen—weil man so ergriffen davon ist, eine Frau zu sein.

Vielleicht komme ich aus einer Generation, die die Emanzipation nicht mehr als knallharten Klassenkampf, sondern als selbstverständlich zu erreichendes Ziel sieht—ganz ohne Verteufelung des anderen Geschlechts. Wenn ich aber das hart abgesteckte Weltbild der Emma teilen muss, um Teil der Frauenbewegung zu sein, dann will ich gar nicht dazugehören. Sorry, ​Alice.

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