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Mit Virtual Reality Rassismus bekämpfen

NeuroSpeculative AfroFeminism will mit moderner Technik eine bessere Welt für schwarze Frauen schaffen. Wir haben uns die VR-Brille aufgesetzt.
Alle Bilder: Hyphen-Labs

Ich setze mich auf einen Stuhl und setze mir die VR-Brille auf. Plötzlich bin ich nicht mehr in einer Bücherei in Chicaco, sondern in einem futuristischen Friseursalon. Ich sitze vor einem Spiegel und kann mein virtuelles Ich betrachten: eine schwarze Frau, die ihre Haare in der Mitte gescheitelt und zu zwei Afro Puffs gestylt hat. Für einen kurzen Moment bin ich ein wenig irritiert, weil ich meine Haare an diesem Tag tatsächlich so aussehen. Allerdings habe ich sie vorn und hinten unterteilt und nicht an den Seiten.

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Als ich an mir herunterblicke, sehe ich zwei schmale, digitale Oberschenkel in engen Jeans. Über mir hängt ein futuristischer Kronleuchter, der sanft an der Decke schwankt. Ich befinde mich an einem unbekannten Ort, in einem Körper, der sich neu und zugleich vertraut anfühlt.

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Mit Virtual Reality verbinden wir für gewöhnlich vor allem Videospiele. Die meisten Menschen, die das Bedürfnis und den Wunsch haben, sich teure VR-Headsets zu kaufen, scheinen sie überwiegend in ihrer Freizeit zu nutzen. Doch auch Forscher haben angefangen, das therapeutische Potenzial dieses neuen Mediums zu erforschen. Inzwischen kommt VR sogar schon zur Behandlung von Opfern sexueller Gewalt und Veteranen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung zum Einsatz.

NeuroSpeculative AfroFeminism ist ein futuristisches Kunst- und Technologieprojekt des Hyphen-Labs-Kollektivs, das das Potenzial von VR in einer neuen, innovativen Art und Weise nutzbar machen möchte. Sie wollen eine empathische, digitale Welt schaffen, die die Erfahrungen schwarzer Frauen in den Mittelpunkt stellt.


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Ashley Baccus-Clark ist die Leiterin des Projekts. Sie erklärt, dass sie und ihre Kollegin Carmen Aguilar y Wedge auf die Idee kamen, als sie nach Möglichkeiten suchten, um dem mangelnden Einfühlungsvermögen gegenüber schwarzen Menschen, die in den USA von der Polizei bedroht und ermordet werden, entgegenzuwirken. Eine entscheidende Inspiration war dabei auch eine Studie aus dem Jahr 2013: Forscher unter der Leitung von Mel Slater konnten damals zeigen, dass weiße Menschen, die sich in einem schwarzen Körper durch eine VR-Simulation bewegten, sich nach dieser Erfahrungen weniger rassistisch äußerten.

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"Wenn sich ein Mensch selbst in einem schwarzen Avatar sieht oder einem schwarzen Avatar begegnet, dann müssen sich damit so auseinandersetzen, dass sie den Avatar oder sich selbst vermenschlichen", sagt Baccus-Clark. "[Vielleicht] könnte man damit auch Einfluss auf ihr Einfühlungsvermögen gegenüber schwarzen Menschen im Alltag nehmen." Allerdings würden schwarze Frauen in Berichten über Polizeigewalt und andere Formen der Diskriminierung meist nicht berücksichtigt, weswegen sie und ihre Kollegen entschieden, eine inklusive Zukunft durch die Augen schwarzer Frauen darzustellen.

"Wir spielen mit möglichen Welten, die existieren könnten und sollten."

Zusätzlich zu der VR-Simulation haben Backus-Clark und ihre Team Prototypen verschiedener Produkte entwickelt, die schwarze Frauen schützen sollen. Manche von ihnen tauchen in der Installation auf, wie zum Beispiel Ohrringe, die Begegnungen mit der Polizei aufzeichnen können, ein Schal gegen automatische Gesichtserkennungsprogramme (gegen die Überwachung bei Demonstrationen) und Sonnencreme, die auf schwarzer Haut keine weißen Spuren hinterlässt. Gleichzeitig werden die Produkte auch in der VR-Simulation abgebildet, sodass sie nicht nur physisch sondern auch virtuell erfahrbar sind.

Alle Bilder: Hyphen-Labs

"Wir spielen mit möglichen Welten, die existieren könnten und sollten – das betrifft nicht nur die Produkte, sondern auch die virtuelle Perspektive", erklärt Aguilar y Wedge.

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Ich habe schon in verschiedenen neurowissenschaftlichen Laboren gearbeitet und war daher auf ein Produkt aus der Installation besonders gespannt: die Octavia-Elektroden, die ihren Namen von der Science-Fiction-Autorin Octavia Butler haben. Sie wurden nach dem Vorbild der modernen kleinen Elektroden gestaltet, die man Menschen auf dem Kopf platzieren kann, um ihre Gehirnströme zu lesen oder das Gehirn zu stimulieren. Ich habe sie selbst schon oft genug an anderen befestigt, um zu wissen, dass es ziemlich schwierig sein kann, sie an Menschen mit meinen krausen, lockigen Haaren anzubringen.

Im virtuellen Friseursalon, dem "neurokosmetischen Labor", wird dieses Problem so gelöst, dass einem die Octavia-Elektroden direkt in die Haare geflochten werden. Allerdings stößt man nicht nur bei Elektroden auf der Problem, dass Produktdesign häufig nicht inklusiv ist und schwarze Menschen bei der Entwicklung der meisten Produkte nicht berücksichtigt werden. Gerade im technologischen Bereich stößt man damit auf unzählige Probleme. Automatische Armaturen an Wasserhahnen beispielsweise haben bekanntermaßen ein Problem damit, dunkle Hautfarben zu erkennen. Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung der Farbfotografie, die sich nur an weißen Hauttönen orientiert hat.

Diskriminierung ist oft ein impliziter – und ungeprüfter – Bestandteil der Arbeit eines Designers, sagt Anna Laura Hoffmann. Als angehende Assistenzprofessorin an der University of Washington erforscht sie, wie Technologien und Designs gesellschaftlichen Randgruppen zugutekommen oder sie marginalisieren können. Produktdesigner würden die potenziellen Anwender oft in zwei Lager teilen, erklärt sie: "normale Fälle und Grenzfälle." Das Problem sei, dass diese Darstellung schlichtweg nicht die Realität widerspiegelt.

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"Das stört mich ohne Ende", sagt Hoffmann. "Menschen mit dunkler Haut sind keine Grenzfälle! Bestimmte Gruppen werden durch diese Herangehensweise künstlich zu Ausnahmefällen gemacht."

Eines der Ziele von NeuroSpeculative AfroFeminism ist es, Produktdesigner dazu zu inspirieren, nicht nur von ihren eigenen Erfahrungen auszugehen. Außerdem – und das ist vielleicht noch wichtiger – wollen sie den Weg hin zu einer Welt ebnen, in der mehr schwarze Frauen selbst Designs entwerfen.

Gerade wenn ein Produkt auf schwarze Frauen zugeschnitten ist, zeigen ihnen viele Investoren die kalte Schulter.

"Niemand sonst eignet sich besser, um solche Produkte zu entwickeln", ist Datrianna Meeks überzeugt, eine Produktdesignerin von Spotify. "Die Menschen, die das am besten verstehen würden, sind Menschen, die solche Erfahrungen machen – in diesem Fall schwarze Frauen. Wenn wir nicht in sie investieren, dann investieren wir nicht in die Menschen, die die meiner Meinung nach größte Erfahrung haben, um an diesen Problemen zu arbeiten."

Die Frauen hinter dem Kunstprojekt sind sich auch bewusst, dass es noch andere Kräfte gibt, die verhindern, dass es die entsprechenden Produkte von der Konzeption bis zur Markteinführung schaffen: Da schwarze Frauen ihre Ideen in der Regel weißen, männlichen Investoren vorstellen, ist es nicht leicht, grünes Licht für ein solches Produkt zu bekommen. Gerade wenn ein Produkt auf schwarze Frauen zugeschnitten ist, zeigen ihnen viele Investoren die kalte Schulter. Dabei sei der Markt dafür alles andere als klein, sagt Meeks. "Das Umsatz- und Gewinnpotenzial ist mindestens genauso groß, wenn das Produkt gut ist."

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Große Technologieunternehmen und -investoren glauben vielleicht, dass Produkte und Technologien wie die, die in NeuroSpeculative AfroFeminsim gezeigt werden, keinen großen Gewinn bringen. Doch Hyphen-Labs möchte andere Unternehmen und Designer vor allem dazu inspirieren, ähnliche Produkte zu entwickeln. Außerdem haben sie vor, alternative Finanzierungsquellen zu erforschen – jenseits von traditionellen Investoren, wie zum Beispiel Crowdfunding.

"Es gibt genug Stimmen aus der Community, die bestätigen, dass der Bedarf und der Wunsch nach solchen Produkten da ist", sagt Aguilar y Wedge. "Wir sollten auf sie hören."

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