Ein Gemälde mit zwei sich nahekommenden Frauen, wir haben mit der Gründerin und einer Mitarbeiterin einer lesbischen Escortagentur gesprochen
"Italia und Germania" von Johann Friedrich Overbeck | Wikipedia | CC BY-SA 4.0
Sex

Wie es ist, für eine lesbische Escortagentur zu arbeiten

"Einige Kundinnen kommen aus Ländern, in denen Sexarbeit verboten oder Homosexualität illegal ist. Für mich ist es etwas Besonderes, ihnen diese Erfahrung bieten zu können."

Als Lynx sich vor rund zwei Jahren bei einer Escortagentur bewarb, hatte sie noch keine Erfahrung mit Sexarbeit. Sexualität habe sie aber schon immer fasziniert, sagt sie. Davor hatte sie bereits in einem Sexshop gearbeitet und war in der Fetischszene aktiv. "Ich wusste, dass ich in dem Bereich arbeiten will. Aber nur so, dass es wirklich zu mir passt", sagt Lynx, die privat anders heißt.

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Nach ihrem ersten Date als Escort habe sie gewusst, dass sie diese Arbeit hauptberuflich machen möchte. Sie liebe die vielen verschiedenen Aspekte ihrer Arbeit und die Vorstellung, Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen kennenzulernen, sagt sie. Aber die niederländische Escortagentur, für die Lynx arbeitet, ist auch etwas Besonderes. Sie heißt De Stoute Vrouw, auf Deutsch etwa "die unanständige Frau", und richtet sich ausschließlich an eine weibliche Kundschaft. Es ist eine der wenigen lesbischen Agenturen für Sexarbeit weltweit.


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Gegründet hatten De Stoute Vrouw 2016 die beiden Frauen Lex und Manon, Letztere hat sie aber inzwischen verlassen. Lex leitet die Agentur heute quasi alleine und kümmert sich um alles – vom Einstellen neuer Escorts bis hin zur Webseitenbetreuung. Sie ist dafür verantwortlich, die Privatsphäre der Sexarbeiterinnen und der Kundinnen zu schützen. Sie selbst möchte hier auch nur ihren Vornamen nennen.

Die Idee für die Agentur sei ihr gekommen, sagt Lex, nachdem sie betrunken auf Google entdeckt hatte, dass es so etwas wie lesbische Escortagenturen nicht gibt. "Männer haben das seit Jahrhunderten, aber es gab nichts Vergleichbares, was speziell auf Frauen ausgerichtet ist", sagt sie. "Ich fand das komisch. Was ist, wenn eine Frau Lust auf Sex mit einer anderen Frau hat? Was macht die dann?"

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Lex hatte anfangs Probleme, einen Büroraum zu finden und eine Bank, die ihr einen Kredit für die Geschäftsgründung gibt. Schließlich fand sie beides. Die Anmeldung ihres Unternehmens und das bürokratische Drumherum seien aber kein Problem gewesen.

Auch der nächste Schritt – Sexarbeiterinnen zu finden – sei sehr leicht gewesen. "Als sich die Sache herumsprach, bekam ich schnell Nachrichten von Frauen, die hier arbeiten wollten", sagt Lex. "Ich kriege immer noch einen Haufen Bewerbungen aus der ganzen Welt, an Mitarbeiterinnen fehlt es mir nie."

Aber Lex stellt auch nicht einfach jede ein. Viele Kundinnen, die sich an die Agentur wenden, hätten ein kompliziertes Verhältnis zu Sex, deswegen achtet sie bei Bewerberinnen auch auf emotionale Intelligenz und gute Kommunikationsfähigkeiten. "Wir haben Kundinnen, die in Tränen ausbrechen, weil sie zum ersten Mal seit über zehn Jahren intim berührt werden", sagt Lex. "Das sind sehr sensible Augenblicke und als Escort musst du mit so was umgehen können."

Escort Lynx sagt, dass diese Herausforderungen ihren Job so aufregend machen. Aber natürlich spielt auch Sex selbst eine wichtige Rolle. "Als lesbische Escort musst du in einer bestimmten Art von Sex sehr gut sein, manchmal auch mit Sexspielzeug oder Strap-ons", sagt sie. "Es ist ein ganz eigener Beruf."

Nachdem Lynx bei der Agentur unterschrieben hatte, sollte sie auf der Website einen Text über sich verfassen, der ihre Persönlichkeit widerspiegelt. "Darin habe ich auch über Vertrauen und Sicherheit geschrieben – und dass es bei einem Date mit mir auch die Möglichkeit gibt, von einem sexy Abenteuer zu einer guten Unterhaltung überzugehen", sagt sie. Bilder von den Escorts gibt es keine auf der Website, da einige Kundinnen diese einschüchternd finden. Auf Anfrage bekommt man allerdings welche zugeschickt.

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Lynx, die sich selbst als queer bezeichnet und unter das Autismus-Spektrum fällt, entschied sich dazu, das auch in ihrem Escortprofil zu erwähnen. "In den vergangenen Jahren wurde viel darüber geforscht, wie Autismus bei Frauen funktioniert", sagt sie. "Zum Beispiel verarbeiten nicht-neurotypische Frauen Stimuli anders, ich kann da helfen."

Wie viele andere Escorts in der Agentur kennt sich Lynx auch gut mit den therapeutischen Aspekten von Sex aus. "Ich habe viel über Sexualität gelesen und unterhalte mich auch gerne mit Menschen darüber, die noch nicht so genau wissen, was sie in Sachen Sex überhaupt wollen", sagt Lynx. "Das ist sehr hilfreich, wenn man Frauen bei einer sexuellen Erfahrung begleiten möchte, die sie vielleicht erst mal ein kleines bisschen unheimlich finden."

Manchmal hat sie Kundinnen, erzählt Lynx, die sich immer als heterosexuell verstanden haben, aber neugierig auf die gleichgeschlechtliche Anziehung sind. Andere sind trans und versuchen herauszufinden, wie sich der Sex nach ihrer Transition geändert hat. Andere sind neurodivergent und leiden nach einer schlechten Erfahrung unter einer sexuellen Blockade. Wieder andere wollen nach einer traumatischen Erfahrung ihren Körper neu entdecken. "Für mich ist es eine Ehre, ihnen dabei zu helfen", sagt Lynx. Natürlich gebe es auch eine Menge Kundinnen, die einfach nur guten Sex wollen.

Jeder Termin bei Lynx beginnt mit einer Unterhaltung, in der sie versucht herauszufinden, was die Kundin möchte. "Als erstes schaut man sich gegenseitig in die Augen", sagt sie. "Dann unterhält man sich ein bisschen, stellt ein paar Fragen und gibt ihnen die Möglichkeit, von sich zu erzählen. Für manche kann allein die Vorstellung, sich mit mir zu treffen, sehr intensive Emotionen hervorrufen – und die müssen in diesem Moment rausgelassen werden", sagt Lynx.

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Viele Kundinnen kämen zu den Treffen schon mit einer Vorstellung, wie der Sex laufen soll. Wie eine Art Skript. Aber häufig laufe es dann ganz anders. "Manchmal sagen sie vorher, dass sie nicht wirklich wissen, was ihnen gefällt", sagt Lynx. "Es ist eine Kunst für sich, herauszufinden, wie ihre Körper auf verschiedene Reize reagieren. Ich schaue immer, ob in ihren Augen ein Feuer zu brennen beginnt."

Bevor es überhaupt zu einem Treffen kommt, screent Agenturchefin Lex die Kundinnen und ordnet sie manchmal der passenden Escort zu, die den Wünschen und Erwartungen am besten entspricht. Für die Sicherheit der Escorts ist es extrem wichtig herauszufinden, ob eine Kundin es ernst meint oder vielleicht sogar böse Absichten hat.

Die Agentur habe schon öfter Anfragen von Männern bekommen, sagt Lex, die sich als Frauen ausgeben, oder Menschen, die Dreier organisieren wollen oder das Escort als eine Überraschung für ihre Partnerin buchen möchten. Lex hat entschieden, dass ihre Agentur solchen Anfragen nicht nachkommt. "Ich verstehe die Idee dahinter, aber so eine Überraschung kann zu einem sehr unangenehmen Abend werden – sowohl für die Kundin als auch die Sexarbeiterin."

Ihre gründliche Vorauswahl hat Lex und ihren Escorts bislang unangenehme Situationen mit Kundinnen erspart. Außerdem läuft alles offiziell und legal, im Notfall kann sie also immer schnell die Polizei rufen. "Falls jemand mir oder den Damen gegenüber respektlos ist, lasse ich die Person nicht erst hierher", sagt sie. Lex ist generell sehr vorsichtig. "Als ich mit dieser Arbeit begonnen habe, war mir sofort klar, dass ich dann für viele Frauen verantwortlich bin."

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Lex sagt, sie tue auch ihr Bestes, sich um die Hass-Nachrichten zu kümmern, die ihre Agentur von Zeit zu Zeit erhält. In der Regel kommen die Nachrichten von Männern, die sauer sind, dass sie den Service nicht nutzen dürfen. "Dabei gibt es in dem Bereich so viele Möglichkeiten für Männer", sagt Lynx.

Aber die Nachrichten kommen auch von homofeindlichen Menschen und generellen Sexarbeitsgegnerinnen und -gegnern. "Die schlimmsten Anrufe und E-Mails kriegen wir sogar von Frauen, häufig von Anti-Sexarbeit-Feministinnen", sagt Lex. "Die sehen das so: 'Ich würde diese Arbeit nicht machen wollen, also solltest du sie auch nicht machen wollen.' Ich denke mir dann immer, dass die einfach mal mit meinen Frauen und unseren Kundinnen sprechen sollten."

Auch Escorts wie Lynx erleben wegen ihres Berufs immer wieder Stigmatisierungen. "Einmal musste ich mich von Twitter abmelden, weil ich alle paar Sekunden mit DMs mit den bizarrsten Aussagen bombardiert wurde", sagt sie. 

Trotzdem habe sie sich bei ihrer Arbeit nie unsicher gefühlt. "Die Kundinnen, mit denen ich zu tun habe, sind so lieb und vorsichtig. Ich hatte noch nie ein Date, das keinen Spaß gemacht hat", sagt sie. "Einige Kundinnen kommen aus Ländern, in denen Sexarbeit verboten ist oder Homosexualität illegal. Es ist etwas Besonderes für mich, ihnen diese Erfahrung bieten zu können."

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