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Der Betreiber der einzigen Klinik in einem ganzen Landkreis ist gegen Abtreibungen

Sie berufen sich auf das "christliches Weltbild" und zeigen Frauen mit Paragraphen den Mittelfinger. Willkommen bei dem Betreiber der bald einzigen Klinik in Schaumburg.

Foto: Christian Herriger

Es gibt viele Gründe, warum eine Frau möglicherweise ein Kind nicht austragen will. Lebenssituation, Alter, Lebensplanung, Beziehung, etc. +++Newsflash!+++ "Abtreibung wird in Schaumburg Tabu", titelte die Schaumburger Zeitung. Ohne medizinischen Notfall will der Betreiber der bald einzigen Klinik keine Abtreibungen durchführen.

Zwei der drei Krankenhäuser im Kreis haben bisher Abtreibungen durchgeführt. Bei beiden war der Landkreis der Betreiber. Das dritte Krankenhaus wird vom Agaplesion-Konzern betrieben. Agaplesion ist eine gemeinnützige Aktiengesellschaft mit christlichem Leitbild und deswegen nicht Willens, Abtreibungen in den eigenen Kliniken anzubieten.

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Die zwei übrigen Kliniken werden in absehbarer Zeit geschlossen und dann wird es insgesamt nur noch eine brandneue geben. Die wird dann allerdings nicht mehr vom Landkreis betrieben, sondern—Überraschung!—von Agaplesion. Damit würde es im Landkreis Schaumburg keine Möglichkeiten zur Abtreibung mehr geben; denn auch ansonsten gibt es keine niedergelassenen Ärzte, die ambulante Abtreibungen anbieten.

Wie konnte es dazu kommen? Die beiden kommunalen Krankenhäuser haben finanziell Verluste gemacht, also hat man sich entschieden, die drei Kliniken zusammenzulegen zu einer Schwerpunktklinik—und sich für den christlichen Träger entschieden, erklärt uns Klaus-Dieter Drewes, Vorsitzender der Kreisvorstands von der CDU Schaumburg. Doch auch die CDU ist von dem Vorstoß der christlichen Aktiengesellschaft nicht begeistert. (Wenn das sogar die Christlich Soziale Union das daneben fin…na ja, weiter im Text.)

In Schaumburg ist erst jetzt so richtig aufgefallen, was es für Frauen im Landkreis bedeutet, wenn die einzige Klinik von einem Konzern betrieben wird, der keine Abtreibungen durchführen will. Das so zu entscheiden, ist in Deutschland derzeit—so steinzeitlich es klingt—das Recht des Betreibers. Weder Ärzte noch Pflegepersonal sind vom Gesetz gezwungen, Abtreibungen durchzuführen. "Agaplesions ethische Haltung, Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung aus ethischen Gründen zu verweigern, ist also bereits vom Gesetzgeber gedeckt", sagt uns der Pressesprecher des Konzerns.

Die gesetzliche Grundlage von Schwangerschaftsabbrüchen ist auch 2016 noch kompliziert. Laut §218 sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten. Auch die Abtreibung nach einer Pflichtberatung (§218, Abschnitt 1) ist eigentlich rechtswidrig, bleibt aber straffrei. Beratungsscheine werden von staatlich zertifizierten Beratungsstellen ausgegeben, die ergebnisoffen beraten. Das heißt, am Ende kann die Frau entscheiden, ob sie ihr Kind austragen will oder nicht. Wenn nicht, kann sie frühestens drei Tage nach der Beratung den Abbruch durchführen lassen. Blöd nur, wenn die Klinik im Ort eben das nicht durchführt.

Der Beschluss, ein neues Krankenhaus von einem privaten Träger bauen zu lassen, ist schon sieben Jahre alt. Die Parteien im Kreistag haben über die Abtreibungssituation allerdings in dieser Zeit nicht diskutiert, das Thema kam nicht auf. Das bestätigt uns Kreissprecher Klaus Heimann. Jetzt gibt es Gespräche mit den Betreibern.

"Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir bald eine Lösung finden", sagt Drewes von der CDU Schaumburg. Denn: In den Verträgen von damals stehe, dass alle Leistungsangebote der kommunalen Kliniken erhalten bleiben, sogar ausgebaut werden sollen. Auch Kreissprecher Klaus Heimann sagt, dass auf jeden Fall eine Lösung gefunden werden soll, "notfalls mit einem Kooperationspartner". Die Klinik soll Abtreibungen möglich machen. Sorry, Agaplesion—vielleicht kommt das Recht der Frauen am Ende doch gegen eure "ethische Haltung" durch.

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